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IN SACHSEN-ANHALT

SELBSTORGANISIERTES LERNEN AN DER GEMEINSCHAFTSSCHULE OSKAR LINKE MAGDEBURG

Im Gespräch mit Lehrer Mathes Meseberg

Im Interview gibt uns der Lehrer Mathes Meseberg einen Einblick, wie die Gemeinschaftsschule Oskar Linke in Magdeburg vor einigen Jahren begann, Schritt für Schritt selbstorganisiertes Lernen in die Unterrichtsgestaltung zu implementieren, wie dieses derzeit gestaltet wird und was für die weitere Entwicklung geplant ist.

 

Herr Meseberg, die Gemeinschaftsschule Oskar Linke setzt seit einigen Jahren auf das Format des selbstorganisierten Unterrichts. Wie kam es dazu?

Ursprünglich war die Schule eine Sekundarschule. Als feststand, dass wir eine Gemeinschaftsschule werden inklusive Schulumbau, war das für das Kollegium der Anlass zu sagen: Wir brauchen moderne Unterrichtsmethoden. Immerhin wird nicht umsonst seit Jahren statt reiner Wissensvermittlung auf Kompetenzen als Lernziele gesetzt. Das Format des selbstorganisierten Lernens (SOL) war also für uns eine perfekte Option.

Welche Überlegungen trieben Sie bei der Idee von SOL im Unterricht um?

Klar war für uns, dass wir SOL nicht von heute auf morgen in den Schulalltag integrieren konnten. Von daher war es wichtig, diesen grundsätzlichen Entschluss von SOL-Unterricht zu festigen und zu überlegen, wie das an unserer Schule aussehen kann. Alle Lehrkräfte sind daher verpflichtend zu einer Hospitation an die Offene Schule Waldau nach Kassel gefahren. Das war für
uns alle eine Inspiration. Dabei stand vorab jedoch schon fest: Wir wollen keine Kopie von dem, was dort gemacht wird, sondern wirklich nur Anregungen. In diesem Sinne saßen wir danach alle zusammen und reflektierten: Was hat uns gefallen? Was nicht? Was wollen wir davon umsetzen? Was nicht?

Welche Erkenntnisse nahmen Sie aus der Hospitation mit?

Eine Erkenntnis war auf jeden Fall, dass wir alle notwendigen Bausteine an der Schule haben, um SOL erfolgreich beginnen zu können: Wir hatten die Bereitschaft des Kollegiums und z.B. technische Voraussetzungen wie unsere Computerarbeitsplätze, damit die Schüler:innen tatsächlich eigenständig Recherchen unternehmen konnten.

Und dann konnten Sie sofort mit der Umsetzung starten?

Nein, da uns bewusst wurde, dass wir nicht gleich in allen Klassen mit SOL-Unterricht beginnen können. Wir haben uns dafür ent-schieden, mit der damals neuen Klasse 5 zu starten und es dann aufwachsen zu lassen. Denn die inhaltlichen Schwerpunkte und mögliche Lernprodukte müssen zunächst festgelegt werden. Das geschah bei uns in Jahrgangsteams. Klar wurde auch: Die Schüler:innen können nicht einfach von heute auf morgen eigenständig arbeiten und selbst Lernprodukte entwickeln, nur weil sie sich aussuchen können, was sie zu einem Thema machen wollen. Daher fokussieren wir uns im SOL-Unterricht noch heute in Klasse 5 und 6 erst einmal auf eine Methodenlehre wie z.B. Sachtexte zu lesen und zu verstehen oder sich als Gruppe zu organisieren. Daneben lernen die Schüler:innen erste mögliche Lernprodukte wie das Plakat kennen, denn in Klasse 5 und 6 können wir einfach nicht erwarten, dass sie eigene Lernvideos drehen oder kleine Programmierungen vornehmen. Das Produktportfolio wächst also mit zunehmender Klassenstufe, aber die Basics müssen dafür sitzen. Dafür haben wir im Kollegium extra ein Curriculum mitsamt Methodenpool entwickelt, das wir immer wieder evaluieren und weiterentwickeln.

Wie kann man sich als Außenstehender SOL heute an der Schule vorstellen?

Nach mehreren Überlegungen und Testphasen hatten wir für uns entschieden, SOL als eigenes Fach zu implementieren. Bei uns ist das das sogenannte Freie Lernen, wobei wir mit zwei Stunden pro Woche damit einsteigen. In Klasse 5 und 6 geht es dabei wie gesagt um das Heranführen, wie man selbst überhaupt eigenständig und eigenverantwortlich Lernen kann. In Klasse 7 und 8 haben sich jetzt unsere Trimesterphasen in SOL bewährt. >>>

Hier können sich die Schüler:innen aus 4 fächerübergreifenden Themen 3 aus-wählen, die sie für jeweils 12 Wochen bearbeiten können. Eines der letzten Themen war zum Beispiel das Leben mit Menschen aus anderen Kulturen. Am Ende benoten wir ihre Leistung mit 2 Fachnoten, wobei wir versuchen, nicht nur das Produkt, sondern auch den Erstellungsprozess in die Notenvergabe mit einzubeziehen.

In Klasse 5 und 6 gibt es also noch relativ viel Input zur Schaffung notwendiger Grundlagen seitens der Lehrkräfte. Wie sieht das in anderen Klassenstufen aus?

Mit höherer Klassenstufe werden die Lehrkräfte immer mehr gefordert, von Wissensvermittlern zu Lernbegleitern zu werden, denn die Selbstständigkeit der Schüler:innen soll sich erhöhen. Allerdings heißt das nicht, dass sie alles von allein hinbekommen. In diesem Sinne ist ein kontinuierliches Feedback seitens der Lehrkräfte im Prozess angesagt, aber ebenso eine positive Fehlerkultur währenddessen und am Ende. Denn nicht jedes Produkt ist letztlich so, wie die Schüler:innen eigentlich geplant hatten. Da heißt es, gemeinsam zu überlegen, was gut lief und an welchen Stellen es hätte anders laufen müssen, um es beim nächsten Mal besser zu machen. Und dann ist eine gute Reflexion für die Bewertung wichtiger, als zu sagen, an der und der Stelle ist das Lernprodukt nicht ganz perfekt geworden. Und genau dieser Rollenwechsel ist für einige im Kollegium relativ schwierig. Daher setzen wir bei uns auf kollegialen Austausch und auch das Format der Mikro-Fortbildung hat sich durch SOL bei uns im Kollegium etabliert. 

Sind sie, was das Format SOL angeht, jetzt fertig?

Auf gar keinen Fall. Wir sind in einem stetigen Entwicklun- gsprozess, was das angeht. Wir haben hier gar nicht den Anspruch zu sagen: Bei uns läuft es am tollsten. Aber wir haben einen guten Ansatz gefunden, wie man als Schule mit SOL erfolgreich beginnen kann. Unsere langfristig gemeinsame Vision ist es nun geworden, zukünftig den Fachunterricht projektorientierter zu gestalten und mehr Freiheiten im Unterricht allgemein zu schaffen. Corona mit seinem aufgezwungenem Distanzlernen hat uns einfach bewiesen, dass die Schüler:innen genau solchen Unterricht benötigen, denn viele von Ihnen haben uns gesagt: Der SOL-Unterricht hat uns super auf das Homeschooling vorbereitet.

Zum Schluss eine letzte Frage: Welche Tipps würden Sie Schulen geben, die mehr Eigenverantwortung in den Lernprozess geben wollen, aber SOL nicht gleich als eigenes Fach übernehmen wollen oder können?

Hierfür helfen Hospitationen an anderen Schulen, um sich die vielfältigen Umsetzungsmöglichkeiten des selbstorganisierten
Lernens zu verdeutlichen. Dann gilt es, die eigenen Möglichkeiten an der Schule in den Blick zu nehmen. Eventuell hilft es, zunächst in einzelnen Unterrichtsfächern projektorientierte Sequenzen einzubauen, die selbstredend gut vorbereitet sein sollten. So lassen sich für Schüler:innen und Lehrerkräfte erste Erfahrungen sammeln und man bekommt schnell mit, an welchen Stellen noch nachgesteuert werden muss. Denn wie bei allem lernt man etwas nur, indem man es selbst macht. So könnte die Selbstorganisation dann schrittweise erweitert werden.

Vielen Dank für diesen Einblick!

Juli 2021