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WENN DAS LESEN, SCHREIBEN ODER RECHNEN BESONDERS SCHWERFÄLLT

Kinder und Jugendliche, die Lernschwierigkeiten haben, können schnell durchs Raster fallen. Sie erleben ständig Misserfolg, werden unsicher und Lern-/Hausaufgaben werden zu unüberwindbaren Hürden. Häufig sehen diese Kinder und Jugendlichen nur das, was sie nicht können. Diesen Teufelskreis gilt es zu durchbrechen.

Liebe Frau Job. Seit 5 Jahren sind Sie Leiterin der zwei Duden Institute für Lerntherapie in Magdeburg. Schildern Sie bitte kurz, was die grundlegenden Aufgaben des Duden Instituts sind.

Unsere Arbeit zielt darauf ab, Kindern und Jugendlichen mit Lernschwierigkeiten zu helfen, ihre Fähigkeiten zu verbessern und erfolgreich zu lernen. Die Hauptaufgabe besteht darin, individuelle Lernprobleme zu identifizieren, zu verstehen und geeignete Strategien und Interventionen bereitzustellen, um diese Probleme zu überwinden. Dies kann die Arbeit an verschiedenen Bereichen umfassen, wie Lesen, Schreiben, Rechnen, Problemlösen, Konzentration oder Organisation. Lerntherapie beinhaltet oft eine Kombination aus pädagogischen, psychologischen und anderen therapeutischen Ansätzen, um den Lernenden ganzheitlich zu unterstützen.

Wie unterscheidet sich Lerntherapie von anderen Formen der Bildungsunterstützung, wie z. B. Nachhilfe?

Lerntherapie und Nachhilfe haben zwar ähnliche Ziele, aber sie unterscheiden sich in ihren Ansätzen, Zielgruppen und Methoden. Nachhilfe kann für Schülerinnen und Schüler mit allgemeinen Schwierigkeiten in einem bestimmten Fach oder zur Verbesserung ihrer Noten in der Schule angeboten werden. Somit erzielt man kurzfristige Erfolge für bspw. einen Test/Klassenarbeit. Generell wird am aktuellen Schulstoff gearbeitet oder kleinere Wissenslücken geschlossen. Lerntherapie richtet sich an Personen mit spezifischen Lernschwierigkeiten, wie z. B. Lese-Rechtschreib-Schwäche (Legasthenie), Rechenschwäche (Dyskalkulie), Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) oder anderen Lernstörungen. In der Lerntherapie konzentrieren wir uns darauf, die zugrunde liegenden Ursachen von Lernschwierigkeiten zu identifizieren und zu behandeln, um langfristige Verbesserungen im Lernprozess zu erreichen. Was sich früher oder später auch auf den Regelunterricht in der Schule auswirkt!
Grundsätzlich arbeiten wir unabhängig vom Lernstoff. Ich denke, das ist der größte Unterschied. Wir erarbeiten kleinschrittig und unter Berücksichtigung der individuellen Voraussetzungen, mit dem Kind /Jugendlichen Strategien, sodass die Defizite aufgearbeitet werden.

„WIR GEBEN DEN KINDERN UND JUGENDLICHEN DAS WERKSZEUG AN DIE HAND,MIT DENEN SIE
ERFOLGREICH LERNEN KÖNNEN.“

Es ranken noch immer viele Mythen rund um Rechenschwäche oder Lese-Rechtschreib-Schwäche. Welche begegnen Ihnen in bei Ihrer Arbeit?

Der verheerendste Mythos, der sich auch sehr hartnäckig hält: „Das Kind ist faul und müsse nur mehr üben!“ Oft höre ich Eltern diesen Satz sagen, dass sie dies entweder selbst glauben oder bspw. eine Lehrkraft des Kindes dies so gesagt hat. Dieser Satz ist auf verschiedenen Ebenen für das Kind und auch die Familie niederschmetternd. Mit diesem einen Satz werden die Anstrengungen, die kräftezehrenden Kompensationsstrategien und die häufig angespannte familiäre Situation einfach kleingeredet, übersehen und ein schlechtes Gefühl für so viele Kinder, Eltern und andere Beteiligten ausgelöst. Kinder hören aus diesem Satz sehr schnell „du bist dumm“ heraus und, das kann ich aus Erfahrung sagen, sind die Kinder definitiv nicht.

Unter der Überschrift ‚Lerntherapie macht Schule‘ bieten Sie auch verschiedene Projekte für Schulen an. Darunter z. B. die Leseförderung. Wie kann hier der Ablauf exemplarisch aussehen?

Ein exemplarischer scher Ablaufplan für die Leseförderung in der Grundschule, der darauf abzielt, die Lesetechnik zu verbessern:

Tag 1: Einführung und Diagnose

  • Einführung des Themas ‚Leseförderung‘ und Erklärung der Ziele der Projektwoche.
  • Durchführung von Einstufungstests, um das aktuelle Leseniveau der Schüler zu bestimmen.
  • Gruppeneinteilung basierend auf den Ergebnissen der Diagnosetests.

Tag 2: Lesetechniken und Strategien

  • Präsentation verschiedener Lesetechniken und -strategien
  • Übungen zur Verbesserung der Lesetechnik und -geschwindigkeit
  • Eigenes Ausprobieren von verschiedenen Strategien.

Tag 3: Leseverständnis

  • Einführung von Strategien zur Verbesserung des Leseverständnisses, was mit verbesserter Lesetechnik einhergeht
  • Gruppenaktivitäten zum Leseverständnis

Tag 4: Kreatives Lesen

  • Förderung der Kreativität durch künstlerische Interpretation von Texten (z. B. Malen, Schreiben von Gedichten oder Geschichten) Schreiben und Lesen stehen in Wechselwirkung, somit wird auch bei der Leseförderung geschrieben.
  • Vorstellung und Diskussion von verschiedenen literarischen Genres und Stilen; hier ist eine genaue Absprache mit der Lehrkraft notwendig. Es können auch Themen des Lehrplans genutzt werden.

Tag 5: Projektpräsentation und Reflexion

  • Vorbereitung von kurzen Präsentationen oder Aufführungen, in denen die Schüler ihre Leseprojekte präsentieren (z. B. Theateraufführungen, Lesungen, Ausstellungen von Kunstwerken).
  • Reflexion über die Erfahrungen der Woche und Diskussion darüber, wie die erlernten Lesetechniken und -strategien in Zukunft angewendet werden können.

Empfehlen Sie eine Teilnehmerobergrenze?

Hier kommt es tatsächlich ganz auf das Ziel des Projektes an. Soll es eine individuelle und sehr enge Betreuung durch uns geben, so können wir maximal eine Klasse betreuen. Das ist bspw. in der Grundschule so.
Wenn nach unserer Anleitung schon schnell selbstständig gearbeitet werden kann und wir „nur“ unterstützend und beratend zur Seite stehen, so können wir auch mehrere Klassen betreuen.

Wie heterogen oder homogen kann eine Gruppe sein?

Wir sind Lerntherapeuten. Wir haben tagtäglich mit so vielen verschiedenen Kindern und Jugendlichen zu tun, dass wir uns auf jede Gegebenheit einstellen können, die wir bekommen. Das macht unsere Arbeit so besonders, aber auch herausfordernd. Also es darf so heterogen sein, wie nun mal eine Klasse ist. Durch unsere Expertise teilen wir uns die Gruppe in homogene Kleinstgruppen ein. Oder wir nutzen die Kraft der Heterogenität – alles in Abhängigkeit, welches Ziel wir verfolgen.

Vielen Schülerinnen und Schülern fällt es schwer, sich über einen längeren Zeitraum zu konzentrieren. Auch hierfür haben Sie etwas im Repertoire.

Wir haben ein eigenes Konzentrationstraining im Angebot, welches sich an dem Marburger Konzentrationstraining orientiert. Man kann davon ausgehen, dass fast jeder das MKT kennt, sodass jeder eine Vorstellung hat, was wir anbieten. Durch die Erfahrung aus der Lerntherapie haben wir Inhalte angepasst, sodass wir uns vollkommen mit dem Konzentrationstraining identifizieren können.

„DIE KOMPENSATIONSSTRATEGIEN DER KINDER UND JUGENDLICHEN SIND HÄUFIG SEHR KREATIV,
ERZEUGEN ABER AUCH UNGEHEUREN STRESS
UND DRUCK & AN EINEM GEWISSEN PUNKT
REICHEN SIE AUCH NICHT MEHR AUS.“

Kommen wir zu dem „Wir“. Wer führt die Angebote durch?

Das Team am Duden Institut für Lerntherapie Magdeburg ist multiprofessionell. Von Lehrkraft, Linguistin bis hin zur Psychologin ist alles dabei. Unsere Psychologin im Team ist u. a. zertifizierte Trainerin für das Marburger Konzentrationstraining und erfahrene Lerntherapeutin für Deutsch und Mathematik. Andere Angebote wie das Angebot Bewegungs- und Lernprofil ist in Zusammenarbeit mit einer ansässigen, auch vielfältig zertifizierten, Ergotherapeutin. Wenn wir die Expertise nicht im Team haben, so haben wir großartige Kooperationspartner:innen, die uns dann unterstützen. So auch im Konzentrationstraining: Hier ist es möglich, dass eine oder mehrere Yoga-Einheiten mitgebucht werden können. Lernen ist ganzheitlich und so bin ich immer gewillt, dass wir uns auch ganzheitlich aufstellen können.

Wie können Lehrkräfte die Fortschritte der Kinder und Jugendlichen unterstützen?

Wenn die Kinder und Jugendlichen bei uns Lerntherapie erhalten, sich mit uns austauschen: Über den aktuellen Lernstand in der Lerntherapie, über einen geeigneten Nachteilsausgleich, über eine Anpassung der Hausaufgaben, um bspw. die häusliche Situation zu entlasten, etc. Wir möchten den Aufwand für die Lehrkräfte so gering wie möglich halten, sodass wir Vorschläge geben, die leicht umsetzbar sind. Auch übersteigt unser Austausch keine zeitliche Kapazität. Der Prozess des Lernens ist sehr individuell, sodass es schwer ist, eine pauschale Antwort zu geben, daher: Austausch, Austausch, Austausch, sich selbst zum entsprechenden Thema informieren und keine niederschmetternden Sätze mehr!

Projekttag, Projektwoche oder wöchentliches Angebot – in welcher Form kann die Schule die verschiedenen Angebote nutzen?

In jeder erdenklichen Form. Wichtig vorab ist die Zielsetzung, davon abhängig arbeiten wir das Angebot individuell heraus, sodass die Schülerinnen und Schüler und auch die Lehrkräfte den meisten Nutzen haben. Vivien Job, Geschäftsführerin Wir haben kein fertiges Konzept à la „machen wir schon immer so“, sondern immer ein individuelles Angebot für die jeweilige Schule.

Die Zahl der Kinder und Jugendliche mit Teilleistungsstörungen, verschiedenen sonderpädagogischen Förderbedarfen und auch Kinder und Jugendliche mit Zielsprache Deutsch ist gestiegen. Wie können Schule und Lerntherapie Hand in Hand gehen?

Wir sehen uns als Ergänzung zur schulischen Förderung, gleichzeitig steht ‚Schule‘ vor einem Berg von Aufgaben und Bildungsaufträgen, die sie gar nicht mehr leisten können. Somit rutschen wir zwangsläufig in eine zentralere Rolle. Eine effektive Möglichkeit, diesen Herausforderungen zu begegnen, besteht in der engen Zusammenarbeit zwischen Schule und Lerntherapie. Hier sind einige Ideen, wie Schule und Lerntherapie Hand in Hand gehen können:

  1. Früherkennung und Diagnostik: Durch eine enge Zusammenarbeit können Schulen und lerntherapeutische Einrichtung frühzeitig potenzielle Lernschwierigkeiten erkennen und diagnostizieren. Dies ermöglicht eine gezielte Förderung, noch bevor sich die Schwierigkeiten verschärfen.
  2. Individuelle Förderpläne: Gemeinsam können Schulen und Lerntherapeut:innen individuelle Förderpläne für Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf entwickeln. Diese Pläne berücksichtigen die spezifischen Bedürfnisse jedes Kindes und legen Maßnahmen fest, um diese zu unterstützen. Hier wird Schule multiprofessionell und kann so die immer wachsenden Herausforderungen meistern.
  3. Koordination von Maßnahmen: Schulen und Lerntherapeuten können ihre Maßnahmen koordinieren, um sicherzustellen, dass die Förderung in der Schule und in der Lerntherapie sich ergänzen und nicht gegenseitig behindern. Ein regelmäßiger Austausch über Fortschritte und Herausforderungen ist hierbei entscheidend.
  4. Einbeziehung der Eltern: Schulen und Lerntherapeuten können Eltern aktiv in den Förderprozess einbeziehen und ihnen unterstützende Maßnahmen und Strategien für zu Hause empfehlen. Eine enge Zusammenarbeit mit den Eltern ist wichtig, um die Wirksamkeit der Förderung zu maximieren.
  5. Nachsorge und Übergänge: Schulen und Lerntherapeuten können gemeinsam Übergänge zwischen verschiedenen Bildungsstufen oder Schulformen begleiten und sicherstellen, dass die Förderung nahtlos fortgesetzt wird. Dies ist besonders wichtig für Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf.

Durch eine enge und kooperative Zusammenarbeit zwischen Schule und Lerntherapie können die Bedürfnisse aller Schülerinnen und Schüler besser erfüllt werden. Gemeinsam können sie eine unterstützende und inklusive Lernumgebung schaffen, in der jedes Kind sein volles Potenzial entfalten kann.

Bieten Sie auch Fortbildungen für Lehrkräfte an?

Im Moment noch nicht, da wir am letzten Feinschliff arbeiten. Ab dem neuen Schuljahr wird es dann so weit sein! Themen sind u. a. „Was ist ein guter Nachteilsausgleich?“, „Lernen in Bewegung“, „Was ist LRS/RS? Und wie erkenne ich Anzeichen im schulischen Alltag?“. Individuelle Themenwünsche sind immer möglich. Wir kommen gern an die Schule und arbeiten mit den Gegebenheiten vor Ort.

Herzlichen Dank für diesen spannenden Einblick.

magdeburg@duden-institute.de

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